Privater Scherbenhaufen? – Zur Infrastrukturgesellschaft und Privatisierung der Autobahnen
Während der Streit um die Privatisierung der Autobahnen auf offener Bühne tobt, wird hinter den Kulissen heftig um eine Autobahn-GmbH oder eine neue Bundesbehörde gerungen. Das Paket zur Einigung beim Länderfinanzausgleich enthält die bislang nicht vorhandene „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“, die künftig die Autobahnen in Deutschland planen, bauen, betreiben und erhalten soll. Dafür ist sogar eine Änderung des Grundgesetzes nötig. Von der Privatisierungsdiskussion überlagert ringen in diesen Tagen unbemerkt Bund und Länder heftig um Kompetenzen und den Umbau der Straßenbauverwaltungen von Bund und Ländern. Es geht um 13.000 Kilometer Autobahnen, fünf Milliarden Euro pro Jahr und 20.000 Beschäftigte.
Die Regierungschefinnen und -chefs von Bund und Ländern haben am 14. Oktober 2016 zusammen mit der Neuregelung des Finanzausgleichs die Gründung einer privatwirtschaftlichen „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ beschlossen. Die Verkehrsminister der Länder hingegen haben sich bis zuletzt für den Erhalt der im Grundgesetz angelegten Auftragsverwaltung der Bundesfernstraßen ausgesprochen, allerdings unter optimierten Rahmenbedingungen. Nun ist es am Bund, eine solche Infrastrukturgesellschaft auf Kiel zu legen, sie aufzubauen und den Übergang so zu gestalten, dass der Erhalt und der Ausbau der Fernstraßen, also der Autobahnen und der Bundesstraßen, nicht nachhaltig beeinträchtigt werden. Dies ist gerade im Hinblick auf den Investitionshochlauf eine besondere Herausforderung.
Der Streit um die Privatisierung – oder eher die Frage, in wie weit sich Investoren an der noch zu gründenden Infrastrukturgesellschaft beteiligen können – geht zurzeit durch die Medien. Völlig ausgeblendet aus der öffentlichen Wahrnehmung hingegen ist die Frage, wie der Bund es bewerkstelligen will, ein komplett neues Unternehmen dafür auf die Beine zu stellen und wie überstürzt er die Grundgesetzänderung und die notwendigen Umsetzungsgesetze angeht. Im Grunde geht es hier um eine siebzehnfache Verwaltungsreform der Straßenbauverwaltungen des Bundes und der Länder, die schätzungsweise um die 20.000 Menschen – vom Straßenwärter bis zum Ingenieur – betrifft.
Volkswirtschaftliche Dimension
Die Nutzerfinanzierung und eben auch die Zinsvorteile einer öffentlichen Finanzierung gewährleisten den bedarfsgerechten Ausbau und die Erhaltung der Autobahnen. Das deutsche Autobahnnetz könnte zum Anlage- und Spekulationsobjekt für Investoren werden. Die Privatisierungsbestrebungen zielen ausschließlich auf die Öffnung eines renditegewährleistenden Anlagemodells für Investoren. Allein die Renditegarantien führen langfristig zu höheren Kosten für die Straßennutzer und Steuerzahler.
Die Verkehrsminister der Länder haben in den Kommissionen unter Leitung der ehemaligen Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre und Kurt Bodewig die Finanzierungsdefizite bei der Verkehrsinfrastruktur aufgezeigt und die heutige öffentliche Wahrnehmung erreicht. Die Berichte dieser beiden Kommissionen gaben den Anstoß für den eingeleiteten Investitionshochlauf. Die jetzt vom Bund geforderte Betrachtung des Lebenszyklus einer Straße wird von den Ländern schon seit Jahren angemahnt. Eine sich daraus ergebende zwingende Aufgabe ist es, die Kontinuität der Finanzierung zu gewährleisten. Die Ungewissheit, wie es im nächsten Haushalt weitergeht und das unstete Auf und Ab der Investitionsmittel sind einer der Hauptgründe für die schleppende Realisierung von Straßenbauprojekten, die vor allem die Pendler und die hochgradig arbeitsteilige Wirtschaft so dringend brauchen.
Die Bodewig-Kommission hat erst im vergangenen Jahr von anerkannten Fachleuten untermauerte Vorschläge zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern vorgelegt und begründet. Diese Vorschläge hat der Bund bislang nicht aufgegriffen. Der Bund verfolgt dagegen hartnäckig das Ziel der Privatisierung mit einer privatrechtlich organisierten Fernstraßengesellschaft. Die begründeten Warnungen der Kommission, dass eine derart grundlegende Veränderung eine jahrelange Verzögerung von Projekten und eine massive Verunsicherung des Fachpersonals verursacht, wird vom Bund in den Wind geschlagen.
Deutschland kann es sich nicht leisten, den Ausbau und die Erhaltung seiner wichtigsten Verkehrsschlagadern durch eine überhastete Umorganisation aufs Spiel zu setzen. Jetzt kommt es darauf an, den Investitionshochlauf ungefährdet auf die Straße zu bringen.
Betriebswirtschaftliche Dimension
Klar ist, dass es am wirtschaftlichsten ist, wenn das Netz klassifizierter Straßen aus einer Hand verwaltet und betrieben wird. Verschiedene Untersuchungen, auch aus der jüngsten Zeit, belegen das eindeutig. Die Übernahme auch von autobahnähnlichen Bundesstraßen durch die Infrastrukturgesellschaft würde die bisher vorhandenen Synergieeffekte wesentlich mindern und schwer beherrschbare Schnittstellen bei Planung, Bau und Betrieb mit den anderen Baulastträgern schaffen. Die Regelungen lassen einen Vorrang der zweibahnigen Bundesstraßen und eine Benachteiligung des in der Länderverwaltung verbleibenden Restnetzes erwarten.
Die Länder haben sich über Jahrzehnte fundiertes Fachwissen aufgebaut, das in Straßenbauämtern und Autobahndirektionen bzw. -ämtern sowie in Landesämtern, Zentralstellen und Ministerien gebündelt ist. Dieses Fachwissen darf nicht verloren gehen oder zerrieben werden. Hier gilt es Lösungen zu finden, dass Fachaufgaben zum Beispiel des Brücken- und Tunnelbaus oder der Telematik auch in Zukunft weiter qualifiziert betreut werden. Neue Schnittstellen zu schaffen, ist stets kontraproduktiv. Auch die Koordinierung von Baumaßnahmen würde leiden und letztlich Verdruss bei den Verkehrsteilnehmern und betroffenen Bürgern führen.
Eine große Herausforderung ist es in Zeiten des Fachkräftemangels, eine angemessene Personalausstattung im Verwaltungsbereich sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene sicherzustellen. Um Personal halten und gewinnen zu können, ist Sicherheit für Status, Arbeitsplatz und Arbeitsort einzufordern. Ohne Garantien und Zukunftsperspektiven kommt es bei der Umorganisation – gerade vor dem Hintergrund der florierenden Baubranche und dem Fachkräftemangel – zu einem Ausscheiden von Leistungsträgern.
Die Erfahrungen aus den zahlreichen Verwaltungsreformen und Behördenverlagerungen, die übrigens in den seltensten Fällen auf ihre Wirtschaftlichkeit und Zielerreichung hin evaluiert wurden, zeigen, dass selbst mit Garantien nicht Wenige abwandern. Auch von daher ist also zu befürchten, dass weder der Investitionshochlauf ausgeschöpft noch in notwendigem Umfang neues Baurecht für die Investitionen in die Straßeninfrastruktur geschaffen werden können. Der Umstand des bereits deutlich spürbaren Ingenieurmangels wird diese Situation noch verschärfen.
Der Übergang des Personals muss daher so gestaltet werden, dass sowohl Bund als auch Länder in jeder Phase leistungsfähige Strukturen besitzen, und dass die Umwandlungskosten dieses gewaltigen Reformprozesses den Nutzen nicht auf Jahre auffressen.
Staatsrechtliche Dimension
Ironie der Entscheidung, die föderalen Finanzbeziehungen, also mithin den Föderalismus, neu zu ordnen, ist die Zentralisierung von Aufgaben. Seit Gründung der Bundesrepublik gilt der Grundsatz: Verwaltung ist Ländersache. Die Länder haben in den vergangenen Jahrzehnten auf die Bundesinvestitionen nochmal 15 bis 20 Prozent eigene Mittel draufgelegt und so die Planung und die technische Verwaltung eben dieser Fernstraßen finanziert. Nun will der Bund diese Aufgabe – zumindest für die 13.000 Kilometer Autobahnen – von den Ländern übernehmen und alleine stemmen. In einem föderalen Bundesstaat sollte für die Teilstaaten das Subsidiaritätsprinzip – und nichts Anderes ist das Konstrukt der Auftragsverwaltung – auch in so wesentlichen Dingen wie dem Fernstraßenausbau nicht abgeschafft werden.
Wenn dennoch die bewährte Auftragsverwaltung aufgegeben wird, muss dies auf die Autobahnen beschränkt bleiben. Ansonsten gerät die Daseinsvorsorge für die Fläche in Gefahr, weil die Einheit des Landstraßennetzes aus Bundesstraßen und Landes- bzw. Staatsstraßen empfindlich gestört werden würde. Zudem sollte die neu zu installierende Bundesinfrastrukturgesellschaft so breit aufgestellt sein, dass die regionalen Bezüge und Eigenheiten für die Bürger und Kommunen gewährleistet bleiben.
Die BSVI
Die „Bundesvereinigung der Straßenbau- und Verkehrsingenieure“ ist der Dachverband der vierzehn „Vereinigungen der Straßenbau- und Verkehrsingenieure“ (VSVI), die in allen Bundesländern die berufspolitischen und -ständischen Interessen von über 16.000 Ingenieurinnen und Ingenieuren – oft gemeinsam mit den Bau-Ingenieurkammern – vertritt. Ausgerichtet ist die Vereinsarbeit auf die Fortbildung der Straßen- und Verkehrsplaner sowie der konstruktiven Ingenieure und all der anderen verwandten Disziplinen im Straßenwesen. Das weite Feld der Baukultur und Beiträge zur Verkehrspolitik runden die Vereinsarbeit ab. Die BSVI verleiht alle zwei Jahre den Deutschen Ingenieurpreis Straße und Verkehr in den Kategorien Baukultur, Innovation und Verkehr im Dialog.